Buchcover
Iris Hanika

Tanzen auf Beton

Weiterer Bericht von der unendlichen Analyse
2012
gebunden , 13 x 21 cm
168 Seiten
ISBN: 9783854207993
€ 19,00
als ebook erhältlich

AUTOREN

Textauszug

Tanzen auf Beton ist eher was für die jungen Leute. Das stört uns aber nicht, weil, wir sind ja im Herzen jung, sowieso, bloß der Körper ist halt schon älter und das Streben nach Freiheit von Schmerzen schon wichtiger geworden als der Sexualtrieb. Wäre es anders, könnten wir aufregende Dinge erleben in diesem betonierten Raum, der einmal einen Industriebetrieb beherbergte, wovon alles zeugt, was man im Dunkeln von ihm sehen kann. Manchmal gehen Scheinwerfer an, dann sieht man mehr. Hätte der Sexualtrieb uns also noch so imperativ in seinen Krallen wie vor zwanzig Jahren, würden wir uns nicht durch Wippen und Wassertrinken gegen Krach und Beton wehren, sondern Drogen nehmen, vielleicht auch nur Alkohol, um uns zu enthemmen. Sobald wir enthemmt genug wären, würden wir nacheinander mit drei verschiedenen Personen herumknutschen, um schließlich mit der letzten dieser Personen in einer dunklen Ecke des Raumes den Geschlechtsakt zu vollziehen. Das verwirrte uns allerdings dermaßen, daß wir schnell verschwänden, nachdem diese Person, von der wir weiter nichts wüßten, als welchem Geschlecht sie angehört, das aber sicher, ihrerseits schnell verschwunden wäre. Aufs Unisex-Klo, hätte die Person gesagt. Wir würden den Moment nutzen, um unsererseits hinauszuhasten, es wäre sechs Uhr morgens, es wäre hell, die gelben Lichter vieler Taxis leuchteten grell. Wir sähen das nur aus den Augenwinkeln, während wir zur S-Bahn rennten, schnell, in vertrautes Gefilde, das heißt, uns vom Acker machten, fort, nur fort, weit fort (nach Hause). Das wäre dann schmutziger Sex gewesen, nicht wahr? Beziehungsweise »anonymer Sex«, das ist der Fachausdruck. Ein roher Akt, aber keiner der Roheit! Ficken auf Beton halt, Sex im Krach. Wir wären um ein Erleb­nis reicher. Von dem würden wir den Enkeln nicht erzählen wollen, sollten wir einmal welche haben, doch könnten wir davon zehren, weil wir mit Gewißheit wüßten, auch einmal jung gewesen zu sein.

Solange es währte, fühlte sie sich in einem fort glücklich, doch tat­sächlich war es ein bizarres Liebesverhältnis, das da gerade gescheitert ist. Das Scheitern ist nichts Neues, immerhin endeten auch alle früheren Verhältnisse unglücklich, aber warum das Unglück gerade diesmal so unendlich groß ist, verwundert sie nun doch. Immerhin war das ein Verhältnis, in dem sie in Wirklichkeit gar nicht existierte. Noch größer aber ist die Frage, warum sie sich auf dieses Verhältnis überhaupt einge­lassen hatte – warum sie sich überhaupt seit vielen Jahren nur auf heimliche Verhältnisse eingelassen und geglaubt hatte, darin »a whole lotta love« zu finden. Aber ebenso brachial wie das Stück von Led Zeppelin war auch jeweils die Liebe.

Obwohl Iris Hanika ein weiteres Mal die Technik der Psychoana­lyse vor­führt und am konkreten Beispiel zeigt, wie das auf der Couch gelernte Handwerkszeug hilft, durchs Leben zu kommen, ist es keine Fallge­schichte, die sie hier vorlegt, sondern vielmehr ein kluger Roman im typischen Hanika-Sound – nicht nur über Formen der Liebe, sondern vor allem auch über Musik und die Unerträglichkeit der Gegenwart, und nicht zuletzt über die Folgen sexuel­ler Gewalt, die ein Leben lang fortwirken und es durchaus bestimmen können.

Presse

»Iris Hanika bringt ganz gegensätzliche Welten unter ein Prosadach, vom Berliner Kult-Techno-Club Berghain (daher der Titel) bis zur Couch der Psychoanalytikerin – klug beobachtet und kommentiert.« (Der Spiegel)

»Ja, wüst ist das Buch geworden, wüst und schön. Und Iris Hanika ist eine Meisterin der Unglücksversprachlichung, überhaupt der Gefühlsüberführung in Schriftlichkeit.« (Eva Berendt, taz)

»Iris Hanika, eine der markantesten Stimmen ihrer Generation, macht aus ihrer Erfahrung auf der Couch große Literatur.« (Katharina Schmitz, Der Freitag)

»Ein ausuferndes, maßloses, chaotisches Buch, es ist auch ein Buch über die Unerträglichkeit der Gegenwart, die immer wieder mit künstlerischen Fluchtangeboten kompensiert werden muss.« (Frank Schäfer, ZEIT ONLINE)

»Iris Hanika ist eine virtuose Anatytikerin alltäglicher Existenzzumutungen.« (Svenja Flaßpöhler, Philosophie Magazin)

»Schonungslos und klug schreibt Hanika, lakonisch, begabt mit der Fähigkeit zum trockenen Witz, so dass all das Intime, das wir erfahren, sie nicht bloßstellt und der Text nicht im privaten Allerlei verharrt. Er ist ein Plädoyer, auf die eigene Erkenntnisfähigkeit zu vertrauen und sein Leben zu verändern.« (Carsten Hueck, ex libris)

»Kaufen, lesen – reines Glück.« (kreuzer)

»Das Buch ist, um es kurz zu machen, großartig.« (David Wagner, Merkur)

»Selbstanalytische Romane gibt es viele, doch in Sprache und thematischem Zugang ist Hanika eine markante Stimme für die Generation der 40something inmitten ihrer Midlife-Melancholie.« (Gunther Neumann, Wiener Zeitung)

»Ein lesenswertes kleines Kunstwerk, eine unerschrockene Abrechnung mit Beziehungslügen ebenso wie ein Plädoyer für eine vorwärtsgewandte, kritische Weltsicht.« (Bruno Lässer, Vorarlberger Nachrichten)

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