Buchcover
Wilhelm Hengstler

flussabwärts, flussabwärts

2015
gebunden , 13 x 21 cm
240 Seiten
ISBN: 9783854209683
€ 19,00

AUTOREN

Textauszug

Nachts steigerte sich das Pochen in dem operierten Bein zu einem dumpfen Wühlen, aber da ich wegen der gereizten Blase immer wieder aufstehen musste, verzichtete ich auf eine Infusion mit Schmerzmitteln. Die Flasche wurde üblicherweise an einen sogenannten Galgen gehängt, und ich fürchtete beim Verlassen des etwas zu hohen Bettes, dieses Gestell mitsamt der Flasche umzuwerfen oder, zappelnd vor Ungeduld, in dem engen Zimmer gegen eines der Betten zu stoßen.

Es mag aber auch sein, wie schon beim letzten Mal, dass der Grund für meine Erregung wieder die Angst vor der bevorstehenden Entlassung war. Im Dunkel des Zimmers 416 fragte ich mich, ob all die Reisen an exotische Orte oder all meine Radtouren nicht Fluchten vor einem Leben gewesen waren, dessen banales Elend ich mir schon lange nicht mehr einzugestehen wagte. Schon das erste Mal auf einem Rennrad wurde mir klar, dass diese aus solchen Ausritten entstehenden Freiheitsräusche gleichzeitig Beschreibungen einer begrenzten Existenz waren. So schwerelos ich das nachmittägliche Dahinfliegen auch erlebte, erwartete mich am Ende doch wieder der gewohnte Trott. Mit den immer weiteren Kreisen, die ich bis zur hereinbrechenden Dunkelheit zog, verdrängte ich doch nur ein eigentlich ödes Leben. Auf Stunden gleichsam unschuldiger Freiheit folgte die Rückkehr in eine von Zwängen und Schuld beladene Normalität, und obwohl ich mir von Anfang an vorgenommen hatte, diesem Ritual nicht zu verfallen, wurde ich doch bald zu seinem Opfer. Auch dieser Spitalsaufenthalt war nur eine befristete Auszeit, ein vorübergehender Trip, der zurück in ein widersprüchliches Leben führte, an das zu denken mich mit nächtlicher Raserei erfüllte.

Es sollte noch einmal eine – vielleicht letzte – große Herausforderung werden: mit dem Rad am Ufer der Donau entlang bis zu ihrem Nullpunkt am Schwarzen Meer. Doch es kommt anders: Wenige Tage vor der geplanten Reise erleidet Wilhelm Hengstler einen Gefäßverschluss im linken Bein, der eine Operation erforderlich macht. Aus der Reise ins Donaudelta werden längere Spitalsaufenthalte, aus dem geplanten Bericht einer Rumänienreise eine »Reise rund um das Krankenzimmer«.

Zwei Jahre später steigt Hengstler doch noch aufs Rad und holt die Tour nach. flussabwärts, flussabwärts ist ein doppeltes Reisebuch geworden: Die Kapitel mit den Berichten von den Etappen der Reise durch Kroatien, Serbien und Rumänien wechseln sich ab mit den Kapiteln der Reise durch das Spital, Begegnungen mit merkwürdigen Wirten und seltsamen Hotels folgen im nächsten Abschnitt auf Schilderungen nicht minder merkwürdiger Mitpatienten und medizinischer Routinen. Hengstler durchbricht die Rituale und Gesten des Reisebuchautors durch das Aufbrechen der Chronologie, er legt die Entstehung des Buches offen und desillusioniert alle romantischen Erwartungen an die selbstentblößenden Genres von Reise- und Krankenbericht – um einer anderen Form von Aufrichtigkeit treu zu bleiben.

Presse

»Fabelhaft … autobiografisch vielschichtige, spannende Literatur« (Walter Titz, Kleine Zeitung)

»Klug umschifft Hengstler Pathos und gekünstelte Lebensweisheiten. Er nimmt kritische Distanz nicht nur zu den Genres Reiseliteratur und Krankenbericht, sondern auch zu sich selbst ein – und erreicht trotzdem, oder gerade dadurch, eine spannende Form von Intimität und Authentizität.« (Christoph Hartner, Kronenzeitung)

»Der Strom und seine Menschen, verwelkte Lebensträume und vergessene Landschaften geben Zeugnis von der wundersamen Welttauglichkeit dieser Prosa.« (Erwin Riess, Die Presse)

»Scham, Verletzlichkeit, Eigensinn, Stolz, Aufgeliefertsein, trotziges Spiel es gibt keine Schattierung menschlicher Existenz, die dieses Buch nicht berührt. Seine Bilder unwirklicher Spitalsexistenz und hyperrealer europäischer Landschaften und ihrer Einwohner hypnotisierten mich.« (Clemens Setz)

»Abenteuer, sagt man, ist eine unsichtbare, unbeschriebene Distanz zwischen den als sicher erscheinenden Wegmarken Anfang und Ende. Wilhelm Hengstler lässt seinen Protagonisten diese Strecke mehrfach erforschen. In einer Parallelmontage schickt der Autor sein Ich und sein Er aufeinander zu. Anfang mit Ende, Ende mit Anfang werden getauscht, dazwischen beginnen sich die Erkenntnisse der beiden Erzählstränge langsam anzunähern.« (Emil Gruber, GAT)

»Wilhelm Hengstler wählt das Paradigma der Entdeckungsreise und nähert sich mittels teilnehmender Beobachtung und in der präzisen Beschreibungssprache des Ethnologen dem eigenen Leben.« (Daniela Bartens, literaturhaus.at)

»der vorsatz des autobiografisch schreibenden hat zu einem sehr bemerkenswerten buch geführt: FLUSSABWÄRTS FLUSSABWÄRTS, ein komplexer text mitten aus der gegenwart, klug im umgang mit den möglichkeiten realistischer perspektivierungen, ernsthaft und selbstironisch.« (Herbert J. Wimmer, Kolik)

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