Buchcover
Raoul Schrott

Fragmente einer Sprache der Dichtung

Grazer Poetikvorlesung
1997
Broschur , 15 x 21 cm
176 Seiten
ISBN: 9783854204718
€ 19,00

AUTOREN

  • Raoul Schrott

Textauszug

Sie haben ja recht: bloß keine Lyrik nicht, dieses ungereimte Zeugs. Die Dichter sind zwar alles ganz nette Kerle, ihr kuhäugiger Blick nicht unsympathisch, er scheint immer an ein gewisses Wohlgefallen zu appellieren, so bewußt bescheiden, und auch die Dichterinnen haben so etwas Sanftes, nicht ganz von dieser Welt … Sie wissen ja, was ich meine, es ist angenehm, sich mit ihnen zu unterhalten, ich will Ihnen darin nicht widersprechen, mir selbst wär’ manchmal auch lieber, sie blieben mir mit ihrem Geschreibsel vom Leib, diese Poetaster.
Ich sitze manchmal im Flugzeug neben einem, er ist dann so sauber gescheitelt wie gescheit, die Armbanduhr farblich abgestimmt auf’s Handgepäck, alles in Schwarz, weil’s die übliche Arbeitskluft ist, und dann geht’s auch schon los: Kennst du den oder jenen, warst du schon in X, die hat den Preis erhalten und den anderen nicht, ein wenig gelangweilt und ein wenig blasiert, man hat es ja geprobt. Abends dann produziert man das Bißchen an Auratischem für die Lesung, das Stimmchen sanft nuschelnd in der Kehle, ein kokettes Erröten und Zögern bei den delikateren Stellen, so denn solche wären, ein kurzer Blick irritiert ins Publikum, wenn einer hustet, und dann wird weiter über die Zeilen geholpert; daß dies bei einer anderen Pörformentz nicht passiert, dafür sorgt nur die Rückkopplung, wenn er mit der Zunge etwas erratisch übers Mikrofon leckt und sich dann seine Seele aus dem Leib stöhnt, ganz von der Avantgarde und sich selbst ergriffen, ja, das sind sie ausnahmslos alle: von sich selbst ergriffen, ohne daß sie es selbst so recht begriffen.
Dazu braucht es auch keiner Muse mehr und keiner Dichterweihe; sie sind sich selbst genug, Selbststilisierung ist die halbe Kunst, die andere die Kontakte und die literarischen Salongs, die Buchmessen, Jurys und Kritiker, die das alles absolvieren wie eine Pflichtübung.

»Wenn ich heute anfangen könnte, würde ich gerne dort weitermachen, wo er ist. Ja, ich beneide ihn«, so äußerte sich H. C. Artmann über den jungen Tiroler Dichter Raoul Schrott. In dieser Anerkennung von poetisch höchster Ebene schwingt nicht nur das Lob eines dichterischen Talents mit, sondern auch die Wahlverwandtschaft mit einem Wortreisenden, der in vielen Sprachen beheimatet ist:
Schrott übersetzt aus mehreren Sprachen, darunter so entlegenen wie Gälisch, Baskisch oder Okzitanisch, und legte auch eine neue Sappho-Übersetzung vor. Ein Autor, dessen Kenntnisse der Weltliteratur – und dieser Begriff umfaßt nicht nur das aktuelle Romanschaffen der Gegenwart, sondern altsumerische Gesänge genauso wie provençalische Volksdichtung – fundiert und sehr oft durch eigene Nachdichtung erworben sind, ein solcher Autor eignet sich wie wenige andere dazu, über ›Dichtung‹ in all ihren Facetten zu sprechen.

Was in Schrotts bescheidenen Worten nur Fragmente einer Sprache der Dichtung sind, sind die Poetikvorlesungen, in denen der Autor genauso eloquent zeitgenössische Ästhetiktheorien wie Interpretationen einiger Sappho-Fragmente vortragen kann. Und vor allem sein Bekenntnis, daß Dichtung nicht Eingebung von oben ist (in welch verborgenen Formen auch immer), sondern machbar, Handwerk mit materiellem Boden: Poesie und Physis.

Presse

»Überraschend sind die Vorlesungen, in ihrem großzügigen Gestus. Man folgt den eleganten und kühnen Gedankenverbindungen des Autors, fasziniert von der lustvollen Gelehrsamkeit.« (Sabine Peters, Basler Zeitung)

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