Buchcover
Franzobel

Mundial

Gebete an den Fußballgott
2002
kartoniert , 11,5 x 18 cm
132 Seiten
ESSAY 45. Mit Fotoarbeiten von Carla Degenhardt
ISBN: 9783854205920
€ 15,00
als ebook erhältlich

AUTOREN

Textauszug

Meine Generation, für die Fußball ungemein populär geworden ist, wuchs noch mit einem einwöchigen Zehnminuten-Fernsehbericht über die Bundesliga auf, die damals noch nicht Max, sondern erste Division geheißen hat. Heute gibt es Vorberichte, Nachberichte, Livespiele, Zusammen­fassungen, Aufzeichnungen usw. Soviel, daß ein Kabelfernseher vermutlich zu jeder Zeit eine größere Chance hat, irgendwo einem Fußballspiel zu begegnen, als sie ein begabter Elferschütze hat, den Ball im Tor unterzubringen. Was man früher nur hinter vorgehaltener Hand zugeben wollte, nämlich daß man sich für Fußball interessiert, ist heute schon beinahe eine Selbstverständlichkeit. Der telegene Politiker läßt sich nicht mehr auf Vernissagen sehen, sondern demonstriert in VIP-Logen inmitten der Semi­prominenz Volksverbundenheit. Und noch ist keine Sättigung erreicht, liefert dieses Spiel anscheinend noch genügend Identifikationsangebote, einen derart reizvollen Stellvertreterkrieg auszuleben, daß es sich, obwohl die heutige Jugend mit Basketball, Skateboard etc. genügend Alternativen gefunden hat, für fast alle Produkte zu lohnen scheint, auf dem Fußball herumzutrampeln. Von der Scheckkarte bis zum Bier, vom Müsli bis zum Möbelhaus gibt es kaum eine Ware, die nicht irgendwie mit Fußball in Verbindung gebracht werden möchte. Alle wollen die Weltmeisterschaft für ihre eignen Anliegen nützen. Das geht sogar so weit, die Kunst an den Fußball anzuhängen. So findet etwa im Rahmen der diesjährigen Weltmeisterschaft eine Art Stückemarkt mit Theatertexten aller am Turnier beteiligter Länder statt, bei dem mein »Kafka. Komödie«, das wirklich nichts mit Fußball am Hut hat, Österreich vertritt.
Was die Politiker samt den großen Warenhäusern, Fastfoodläden und Hotelketten mit lieber Not zu erreichen scheinen, nämlich ein uniformes Europa, scheint der das Regionale und Vereinsmäßige betonende Fußball zu überspielen, das ist das Plebejische daran. Andererseits ist gerade dieses spermazoide Spiel, wo es darum geht, den verhältnismäßig kleinen weißen Ball zwischen den benetzten Schenkeln des Tores unterzubringen, gehörig in den designten Einheitskrug geplumpst.

Fußball, argumentieren die Sportverächter und Wadelbeißer, ist brutal und stumpfsinnig, fördert Fremdenhass, Grölgesang und schlechten Ton: »Du Oaschloch schleich di!« Fußball, näseln die Tennisspieler, ist ein Proletensport. Die Stadien sind Nester für die Radikalen, mit Rechtsaußen voll, mit Biergesang und Knittelvers. Der Trieb wird ausgelebt, der stumpfe Sinn, das animale Anormale. Das ist der eine Fuß, das Standbein aller Gegner.
Spielt man den Ball der anderen Seite zu, dann ist erstaunlich, welche Massenwirkung Fußball hat. Ist es ein Trieb nach Sippe, nach Gemeinschaft, menschelnder Wärme und Brut, der die Anhänger zu den Vereinen strömen läßt? Jedenfalls wird hier eine Ordnung vorgelebt mit einem System von Gut und Böse, einigermaßen festen Regeln, einer in Punkten messbaren Zählbarkeit, die in anderen Segmenten der Gesellschaft ins Wanken, ins Undeutliche geraten ist. Im Fußball steht sie fest. Es gibt eine Tabelle, Nah- und Fernziele, den Abstiegskampf, die Meisterschaft. Und das sind Dinge, über die man reden kann, ohne sich gleich veräußern zu müssen. Man kann Farbe bekennen, ohne sich deshalb gleich in eine Haltung zu versteifen. Ein Thema für Schriftsteller?

Wenige Autoren sind so prädestiniert, über Fußball zu sprechen, wie der Autor, dessen Pseudonym aus dem Ergebnis eines Fußballspiels Frankreich gegen Belgien entstand: Fran2:0Bel. Er umspielt, foult, säbelt, versenkt, sammelt Karten – Franzobel nähert sich dem Thema von allen Seiten!

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