Buchcover
Bettina Balàka

Eisflüstern

Roman
2006
gebunden in Schuber , 13 x 21 cm
392 Seiten
ISBN: 9783854200468
€ 150,00

AUTOREN

Textauszug

Beck hatte als Kind einige Male die Sommerfrische in Brixen verbracht. Brixen war eine entzückende kleine Bischofsstadt mit einem rosigen Dom, auf dem sämtliche architektonischen Elemente aufgemalt waren, ein perfektes Trompe-l’œil. In Brixen waren die Marillen schon orange gewesen, wenn sie eine halbe Tagesreise weiter nördlich noch grün gewesen waren. Beck konnte sich jede Art von Demütigung vorstellen, aber nicht, dass Brixen nicht mehr bei Österreich war. Eine solche Demütigung, die die ganze Marillenernte südlich des Brenners den Italienern zusprach, war für Beck so unvorstellbar, dass er sie sich unentwegt vorstellen musste. Direkt am Brenner hatte es eine Heilquelle gegeben, seine Mutter hatte auf dieses Wasser geschworen, sie hatte es getrunken und die Unterarme darin gebadet und sogar ihre Araukarie damit gegossen. Wie wunderbar ist dieses Land, hatte seine Mutter immer gesagt: vom dunklen Böhmerwald kommt man direkt ans Meer. Das ist Österreich: Gletscher, Steppen und Seebäder mit Palmen. Jedes einfache Tornisterkind beherrscht drei bis vier Sprachen. Beck erinnerte sich an die Geschichte von den Säumern, die protestiert hatten, als eine richtige Straße über den Brenner gebaut worden war. Die hohe Kunst des Lasttragens über Gebirgspfade dahin, erst im Krieg wieder im Kurs. Von Madonnenerscheinungen war ihm auch erzählt worden, überall in den Bergmulden blitzten Madonnenerscheinungen auf. Und Triest nicht mehr bei Österreich? Man konnte genausogut Mexiko für österreichisch erklären.

10 Exemplare, leinengebunden, signiert und numeriert, in einem hellblauen Schuber aus Leinen zusammen mit einem leinengebundenen Diptychon mit Autograf der Autorin.

Wien 1922. Balthasar Beck kehrt entkräftet, aber – wenigstens körperlich – unverletzt ins heimatliche Wien zurück und sucht nach tagelangem Zögern endlich seine Familie auf. Er wird von grauenvollen Erinnerungen an die Gefangenschaft, die Gemetzel und die Gräuel des Krieges heimgesucht und hat Mühe, in sein altes Leben zurückzufinden. An seinem alten Arbeitsplatz bei der Kriminalpolizei sieht er sich mit rätselhaften, bestialischen Mordfällen konfrontiert, die mit den gerade vergangenen Jahren in Sibirien verknüpft zu sein scheinen.

In ihrem neuen Roman erweckt Bettina Balàka bis ins Vokabular hinein den entbehrungsreichen Nachkriegsalltag zum Leben. Nüchtern, minutiös, mit fast ironischem Unterton schildert sie die tragischen und grässlichen Ereignisse des Krieges. Eisflüstern besticht durch die Intensität und Genauigkeit der historischen Details: einerseits das Wien der frühen 20er-Jahre, wo die gerade abgeschaffte Monarchie noch ebenso in den Köpfen spukt wie ein sich langsam radikalisierender Antisemitismus, andererseits die Welt der Lager weit im Osten, die Gefechte und Schlachten in den russischen Steppen, Krankheit, Hunger und Elend, das alles vereint sich in Balàkas distanzierter Betrachtung zu einem enorm kunstvollen Gesellschaftspanorama.

Presse

»Bettina Balàka legt mit Eisflüstern ein erstaunliches Buch vor: ein Epos über das verarmte Wien der frühen Zwanzigerjahre, gerkleidet in einen Kriminalfall, dessen Auflösung bis zum Schluss für Spannung sorgt.« (Erwin Riess, Die Presse)

»Balàka schaffte eine sinnlich-dichte Atmosphäre, in der wir gebannt verharren, bis zur letzten Seite. Und das liegt nicht nur an den aufzuklärenden Morden, sondern auch am Alltag in Wien 1922.« (Ulrike Sárkány, NDR)

»Ein episodisches, sprachlich funkelndes Mosaik, das so uneinheitlich, bunt und doch organisch ist, wie es wohl nicht einmal der Semmelkloß namens Österreich je war.« (Brigitte Preissler, Berliner Zeitung)

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