Buchcover
Klaus Hoffer

Die Nähe des Fremden

Essays
2008
gebunden , 13 x 21 cm
240 Seiten
41 farbige Abbildungen
ISBN: 9783854207313
€ 24,00

AUTOREN

BUCH ÜBER

  • Urs Widmer
  • Peter Weibel

Textauszug

Ich war immer ein Parteigänger der Ansicht, dass in einer vom Täter unbe­wusst unterstellten Affinität mit dem Opfer der Grund für dessen Verfolgung und Ausrottung zu suchen ist und dass, im Sinne der klassischen Rangdynamik in Gruppen, sozialen Minderheiten Charakterzüge unterstellt werden, die – nach Erik Erikson – zum Bestand der negativen Identität der Mehrheit gehören, zu den in ihre positive Identität unintegrierbaren Charaktereigenschaften, welche die Mehrheit auf die Min­derheit projiziert und ihr anlastet. Jahrhunderte lang raffte man die Besitztümer der Juden mit der Rechtfertigung, diese seien so raffgierig, an sich. Ruth Klüger hat das Phänomen in ihrer autobiographischen Schrift weiter leben auf den Punkt gebracht. Sie stellt fest, dass es gerade jenen, die uner­müdlich das Klischee vom goldgierigen jüdischen Shylock propagierten, also ge­rade den Nazis, vorbehalten blieb, ihren jüdischen Opfern in den Vernichtungs­lagern in beispielloser Gier noch die Goldzähne auszubrechen.

Umgekehrt, denke ich, führen soziale Minderheiten den »Auf­trag« der Mehrheit aus, das, was diese – in Eriksons Diktion – unterdrücken und verdrängen muss, weil sie es ablehnt oder für unzumutbar hält, zu leben. So arbeiten Minderheiten auch im kulturellen Sinn für die Mehrheit und ergänzen, was diese auslassen muss oder sich erspart. – Man erinnere sich der notorischen – wahrscheinlich ungeheuchelten – Tränen in den Augen von SS-Offizieren beim Klang der aufspielenden Juden- und Zigeuner-Orchester in den KZs, deren Mitglieder Minuten später ins Gas geschickt werden mochten.

»Ich glaube, dass einer der Gründe, die einen dazu bringen, dass man versucht, Schriftsteller zu werden, in der mehrmals nach- und eindrücklich gemachten Erfahrung der Sprachlosigkeit liegt, weil man begreift, dass die Sprache als Vermittlungssystem nicht funktioniert, dass, um es anders, mit Urs Widmer, auszudrücken, der Schriftsteller entdeckt, dass er mit der Sprache nicht zurechtkommt, dass er sie nicht beherrscht.«

Klaus Hoffer, das hat sich herumgesprochen, ist einer der gründlichsten Kafka-Leser der deutschsprachigen Literatur. Aber er ist, an diesem hohen Maßstab geschult, demzufolge Bücher eine Axt für das gefrorene Meer in uns sein sollten, überhaupt ein genauer und gründlicher Leser, von Büchern und Kunstwerken, von sich selbst und von anderen Autoren. Und auch sein berühmter Roman Bei den Bieresch ist unter anderem ein Roman über das Lesen, »nur dass Hoffer den abendländischen Kanon bis ins kafkaesk Kenntliche ›verwandelt‹ hat« (Hermann Wallmann).

Die Nähe des Fremden versammelt Essays und Vorträge zu autobiografischen Themen, zur Bildenden Kunst (John Baldessari, Fritz Panzer, Peter Pongratz, Peter Weibel) und zur Literatur, genauer: zu Elias Canetti, Heinrich Heine, Franz Kafka, Kurt Vonnegut und Urs Widmer. Und Kafka, Freud und zentrale Gedanken der Systemtheorie liefern auch die wichtigsten Instrumente zum Verständnis und zur Analyse der Werke.

Presse

»Was Hoffer mit seinen Essays liefert, ist nichts Geringeres als eine in vielen Anläufen entstehende Theorie des Blicks. Wie man gesehen wird und wie man sich selbst sieht, die Spiegelungen und Täuschungen des Realen, brillant.« (Paul Jandl, NZZ)

»Wir haben es mit keinem oberflächlich glänzenden Werk zu tun, sondern mit einem, dessen geistiger Horizont ebenso verblüfft wie die glasklare Sprache.« (Ulrich Weinzierl, Die Welt)

»Die Nähe des Fremden zeigt Hoffer als einen subtilen Kenner der Werke Kafkas, der aber auch Bedeutsames über Autrenkollegen zu berichten weiß.« (Uwe Schütte, Wiener Zeitung)

»Hoffers Interpretationen sind geradlinig formuliert, ohne rhetorische Mätzchen oder effekthascherische Spekulationen bieten sie nachhaltige Lesefreude.« (Paul Pechmann, Falter)

»Die Lektüre eines Essays von Klaus Hoffer ersetzt zehn Sachbücher (…) subtil, groß, einzigartig.« (Werner Krause, Kleine Zeitung)

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