Buchcover
Barbara Frischmuth

Vom Fremdeln und vom Eigentümeln

Essays, Reden und Aufsätze über das Erscheinungsbild des Orients
2008
engl. Broschur , 11,5 x 17,5 cm
152 Seiten
ESSAY 59
ISBN: 9783854207436
€ 15,00
als ebook erhältlich

AUTOREN

  • Barbara Frischmuth

Textauszug

Auch die kategorischsten Forderungen und der lautstärkste Boykott führen nicht immer dazu, dass den Betroffenen Gerechtigkeit widerfährt. Manchmal kann es wirksamer sein, sich mit dem vertraut zu machen, was der Fall ist, und Mögliches als machbar auszuweisen, als sich wie ein Engel mit dem Flammenschwert zu gebärden, auch wenn das – zugegebenermaßen – am medienwirksamsten ist. Das darf weder Kulturrelativismus, wie er immer mehr in Mode kommt, bedeuten, noch der Tatsache das Wort reden, dass gerade die ältesten Demokratien mit den brutalsten Diktaturen am besten zusammenarbeiten, wenn nur die wirtschaftlichen Beziehungen ertragreich genug sind. Was ich meine ist, dass man viel zu schnell mit dem Ausschluss jener zur Hand ist, die weder dem Wunschbild noch dem Feindbild entsprechen.

Es kann nur darum gehen, miteinander leben zu lernen, gegeneinander zu sterben braucht nicht gelehrt zu werden, das hat immer schneller funktioniert, als man wahrhaben wollte. Was den Islam betrifft, drängt die Zeit. Zwölf Millionen Muslime leben bereits innerhalb der europäischen Grenzen, als wie undurchlässig die auch für die Zukunft geplant sein mögen. Und weitere acht Millionen bewohnen den Balkan.

Was in dieser Situation am wenigsten angebracht ist, sind Arroganz und Sentimentalität, die einander oft näher sind, als man glauben möchte. Es ist auch kein Beitrag zur Integration, wenn man, wie der aus Syrien stammende und in Harvard und Göttingen lehrende, muslimische Sozialwissenschaftler Bassam Tibi beklagt, ethnischen und fundamentalistischen Gruppen im Namen der Toleranz exterritoriale Zonen einrichtet, von denen aus sie ihre Landsleute drangsalieren und terrorisieren, während man wesentlich liberaleren islamischen Strömungen interesselos gegenübersteht. Diese Art von Unwissenheit werden Europäer sich in Zukunft nicht mehr leisten können, erst recht nicht im Hinblick auf die Türkei, die ja als assoziierungswillig und -fähig im Gespräch ist. Die wildesten islamischen Fundamentalisten türkischer Zunge sollen nicht in der Türkei, sondern in Deutschland leben, wie mir türkische Freunde immer wieder berichten.

Toleranz und Gleichgültigkeit sind grundverschieden voneinander, auch wenn sie gelegentlich verwechselt werden, aber Gleichgültigkeit, die sich als Toleranz präsentiert, ist genauso menschenverachtend und folgenschwer wie das Aussperren von tatsächlich Gefährdeten.

Kaum eine unserer SchriftstellerInnen ist so berufen, das komplexe Verhältnis von Orient und Okzident, von Westen und Nahem Osten kompetent zu durchleuchten, wie Barbara Frischmuth – deren Initiation in die Welt der Bücher, wie sie sagt, durch die Märchen aus 1001 Nacht stattfand. Die Faszination durch die reichhaltige Kultur des Islams durchzieht seither ihr eigenes Werk auf vielfältige Weise.

In den letzten Jahren sind der Orient, die Türkei und der Islam in unserer öffentlichen Wahrnehmung aber weniger kulturell, sondern politisch präsent, die Angst vor dem Fremden erlebt bis dahin unvorstellbare Ausformungen; Abgrenzungen und Identitätspolitiken (aber auch Ahnungslosigkeit und Ignoranz) bestimmen das politische Gespräch über Migration und Europäische Union.

Dieser Band versammelt nun eine Auswahl der Aufsätze, Vorträge und Essays zu ›orientalischen Fragen‹. Es geht darin um das Kopftuch, um das Europäische an Europa, um die EU und die Türkei, um islamische Frauen, aber vor allem geht es um den Reichtum an Kultur, der uns durch die Literatur des Orients zur Verfügung stünde (wüssten wir dieses Angebot nur zu schätzen!), um islamische und christliche Mystiker oder um geniale Übersetzer wie Friedrich Rückert.

Frischmuths Aufsätze sind Musterbeispiele für die Fruchtbarkeit unabhängigen Denkens; mit Witz, Skepsis und Klugheit rücken sie die Vorurteile und verfestigten Ansichten der deutschen (oder österreichischen) Zeitgenossen zurecht, auch wenn die sich selbst für durchaus offen und vorurteilsfrei halten.

Presse

»Frischmuth ermuntert ihre Leser zu unvoreingenommener Neugier.« (FAZ)

»Kleine, aber prägnante philosophische, kultur- und literaturwissenschaftliche Abhandlungen, die dazu beitragen, ein differenziertes Bild der orientalischen Welt zu zeichnen.« (Brigitte Lichtenberger-Fenz, sandammeer)

»Mit großer Kenntnis vermitteln Frischmuths Essays zwischen zwei Welten. Sie fordern eine Toleranz, die Anerkennung und nicht wechselseitige Duldung ist.« (Paul Jandl, NZZ)

Das Buch »zeugt von Kenntnissen und Vorurteilslosigkeit«. (Heinz Müller, Buchhändler heute)

»Eine kluge Sammlung, ein Aufruf, einmal den eingefahrenen Blickwinkel zu ändern, um die Werte des jeweils Fremden und des jeweils Eigenen neu betrachten zu können.« (Caro Wiesauer, Kurier)

»Neben der Suche nach gemeinsamen Spuren als Basis eines Dialogs plädiert Frischmuth für ein gleich berechtigtes Nebeneinander. Die Autorin setzt in diesem Prozess auf den Austausch von Kulturen, von Sprachen, von Literaturen.« (Sabine Scholl, Die Presse)

»Frischmuths luzide Essays rütteln an unserer kulturellen Selbstgewissheit und wecken Neugierde auf das orientalische Andere. Dieses Buch sollte in keiner österreichischen Bibliothek fehlen.« (Johanna Kircher, Bibliotheksnachrichten)

»Das ist lebendige Literatur, essayistisch, auch eine, die an ihr selbst demonstriert, wie man im Umgang mit den eigenen Vorurteilen und dem eigenen Vorwissen mit sich selbst konstruktiv diskutieren kann.« (Florian Braitenthaller, literaturhaus.at)

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