Buchcover
Paul Wühr

Zur Dame Gott

ESSAY 61
2009
englische Broschur , 11,5 x 17,5 cm
120 Seiten
Mit einem Nachwort von Franz Josef Czernin
ISBN: 9783854207597
€ 15,00

AUTOREN

Textauszug

Dann wird die Poesie schweigen, wo Ragendes, Außerordentliches, gar Heiliges seinen Auftritt hat. Schönheit, die mit Schrecken unsere Aufmerksamkeit wecken will, wird keine Strophe wert sein. Auf ihren Zeilen wird nicht zur Schlachtbank geführt. Das heroische Getue wartet dann vergeblich auf einen Poeten. Schluss wird sein mit dem Lob für Eigentliches und Echtes und ganz und gar reines Gutes und gutes Böses, und so weiter hinauf die Hierarchie, auf welcher man gute Aussichten hat auf das Elend, an das sich weit unten gewöhnt werden muss, bis es von innen her glänzt.

Eine Gottheit, die nicht für das Wahre zuständig ist – was für eine Liebenswürdigkeit: das ist die Dame Gott. Er, der Herr, würde weiß Gott was … aber nie wird er ein Zweifler an seiner eigenen Person oder ihrer Werke. Die Dame behält sich immer vor: geirrt zu haben. Es könnte sein, dass sie Fehler macht. In diesem Konjunktiv lässt sich leben. Nie aber werden in ihm Gerichte installiert, gar ein Jüngstes. Die Selbstsicherheit ist keine göttliche Eigenschaft. Der göttliche Geist räumt Irrtümer ein. Die Dame als Falsche macht Vorschläge, stellt Erwägungen an, lebt das, was getan werden könnte, sie stellt nie ein für alle Mal fest, was gedacht oder getan werden muss. Wer sich selbst für die Wahrheit hält, gibt Befehle. Sie kommandiert nicht. Sie ist nicht derart überzeugt von sich selber, dass sie eine Nachfolge fordert. Sie sagt nicht das unbedingte Ja, auch das Nein nicht, das absolut abbricht. Sie weicht da aus. Sie ist nicht richtig. Sie ist falsch. Das ist es. Die Schwachen lieben das Falsche nicht. Das muss nicht erklärt werden. Nichts muss. So denkt die Dame Gott.

Paul Wührs Dame Gott ist ein außergewöhnlicher Essay zu den heute nicht mehr allzu oft gemeinsam gedachten Feldern Theologie und Poetik.

Mit spielerischem und frechem Schwung fegt der – nur 200 km vom Vatikan entfernt lebende! – bayrische Dichter die »Schreckensherrschaft« des Herrn, des Dogmas, der Wahrheit und der Richtigkeit hinweg und installiert stattdessen die erotische und nackte Instanz der Dame Gott: »Mit diesem Vater im Himmel, mit diesem Despoten kann unsereiner nicht leben. Ohne ihn aber auch nicht. Deshalb die Geschlechtsumwandlung: Wir wollen schließlich die Wirklichkeit dieser Welt.« Das hat nur am Rand mit feministischer Theologie zu tun, sehr viel aber mit Poesie: »Ich sollte bei dem Glauben an die Dame Gott von einer schrägen Religiosität sprechen … Es gibt bei mir eine leichtfertige Theologie, die sowohl karnevalesk ist als auch beinahe wieder ernst.« Die große monotheistische Erzählung mit ihren Zwängen und Vorschriften wird ersetzt durch »das Falsche, mit der Poesie nahezu deckungsgleich«; denn im Denken der Dame Gott gibt es keine Hierarchien, kein einziges Element steht auch nur eine Stufe über den anderen (»vorausgesetzt, wir sehen alle im Vergnügen kein Mehr oder Weniger, sondern immer alles mit immer demselben Wunsch nach Mehr«).

Wühr schließt sich an die deutschen Philosophen der Romantik an, vor allem an Schelling, und bekennt sich zu A.N.Whiteheads pragmatischer Metaphysik; als Dichter aber und vehementer Vertreter einer enthierarchisierten Poesie unterstreicht er die Leitsätze der Dame Gott: »Nichts wird behauptet. Das Richtige schweigt. In seiner Nähe meint das Falsche nur so.«

Presse

»Ein poetischer Gegenentwurf (…) Prinzip der Poesie sei es, so hält der Autor fest, sich von der Einbildungskraft zu neuen Erkenntnissen verführen zu lassen.« (FAZ)

Top