Buchcover
Tor Ulven

Das allgemein Unmenschliche

2014
gebunden , 13 x 21 cm
208 Seiten
Aus dem Norwegischen von Bernhard Strobel
ISBN: 9783854209577
€ 22,00

AUTOREN

Textauszug

ZWISCHENSPIEL VII
(Metaphora)

Kühlwägen. Eine Reise in Kälte. Der Zug des gefrorenen Fleisches, darin die Schlachtkörper liegen und gespreizt ihre steifen Rollen spielen, stumm, pantomimisch-burlesk, toter Adel, hofiert ohne ihren Monarchen, zufällige Opfer der Geschichte, auf der Reise durch die Nacht und die Zwischeneiszeit draußen, wo der Lautsprecher selbst verkündet, dass der flutlichtbestrahlte Bahnsteig leer ist. Bald werden Scharen von Arbeitsfähigen fröstelnd dort stehen und warten. Das Fleisch bewegt sich entlang dunkler Vorstadtfelder, auf deren Pfaden die Kronkorken des Augusts rosten, in den Lehm gestampft, es rattert an ihnen vorbei, die da schlafen und bald zur Arbeit erwachen. Es ist Spätherbst. Der Morgen wird kalt und klar.

AUSSTELLUNG XXXIX
(Selbstportrait als Nahrungsmittel)

(Man soll misstrauisch sein gegenüber seinem eigenen Elend; es kann leicht zu gesund und nahrhaft werden.)
Ich lüfte den Stummfilmhut und präsentiere mich: eine annähernd, jedoch nie ganz leere Aufstrichtube, flachgedrückt, fast vollständig aufgerollt (wie eine Buchrolle?) und abblätternd, verkrumpelt, eine Tube, aus der irgendjemand (Kalliope, Euterpe, des Teufels Großmutter?) stets noch ein wenig mehr Textmasse herausquetscht, durch Wringen, Drücken und Kneten, wenn notwendig auch durch Drauftreten mit der Ferse oder cholerisches Auf- und Niederhüpfen. Ich hoffe, es mundet.

Ungerührt und mit einigem Witz eroberte der Norweger Tor Ulven der Literatur wieder eine Erkenntniskraft, die sie auf ihrem Weg in die Unterhaltungsbranche im allgemeinen verloren hat; existenzieller Ernst, eine beinah wütende Aversion gegen falsche Tröstungen jeder Art und eine vitale sprachliche Unverbrauchtheit machten ihn zu einem der großen dichterischen Erneuerer des Jahrhunderts.

Ulven war ein Meister der knappen Erzählformen, er hinterließ nur einen einzigen, kurzen Roman. Sein Thema war die Zumutung des Todes, der Sterblichkeit, das so kurze Aufblitzen des menschlichen Individuums in der Geschichte, das so viel längere Leben und Überleben der Dinge, die er mit Empathie und großem Interesse schildert, als handelte es sich bereits um Fossilien. Seinen Stil beschrieb er als »eine glühende Sprache unter kaltem, feuerfestem Glas. Es geht darum, gleichzeitig zu denken und zu schreien, ein bisschen pathetisch ausgedrückt.«

Das allgemein Unmenschliche enthält nicht nur die beiden Einzelbände mit Ulvens kurzer Prosa, 1991 und 1995 (posthum) veröffentlicht, sondern auch ein ausführliches, langes Gespräch mit dem Autor – das einzige Interview, das er gab und das eine hervorragende Einführung in sein Werk darstellt.

Presse

»Tor Ulvens Texte sind unaufgeregt und dramatisch zugleich. Er übertreibt nicht, er vergrössert unter einer Lupe der Langsamkeit.« (Samuel Moser, NZZ)

»Gnadenlos, aber brillant.« (Konstantin Ulmer, Der Freitag)

»Seine bis zu philosophischen Erkenntnissen gesteigerten Sätze gleiten wie Zeilen eines Gedichts ins Herz und setzen ein Wissen frei, von dem wir nicht einmal ahnten, dass es in uns existierte.« (Ingrid Mylo, Badische Zeitung)

»Kleine Glückssplitter … Die Texte haben fast lyrischen Charakter; sie erscheinen wie Kapseln und in jeder einzelnen Kapsel ist eine ganze Welt enthalten. … Texte, die auf unbedingte Weise mit der Wahrheit bekannt machen möchten.« (Ulrich Rüdenauer, WDR 3, Gutenbergs Welt)

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