Buchcover
Iris Hanika

Das Eigentliche

Roman
2010
gebunden , 13 x 21 cm
176 Seiten
ISBN: 9783854207641
€ 19,00
als ebook erhältlich

AUTOREN

Textauszug

Den Rhythmus haben wir jetzt im Blut. Da klatschen und singen alle mit, welche der deutschen Sprache im Alltag sich befleißigen, selbst wenn sie ihrer nicht mächtig sind, denn, wie Daliah Lavi mitteilt: »Keine Sprache hat mehr als Worte.« Ferner mischen sich vehement auch die paralamenataharische Dehomokratie und sogar die betont Antispeckturellen ein, gerade wegen ihrer prinzipirellen Interspeckturellenschelte und -abneigung. Ferner zugeschaltet sind die Hörer aus Österreich und der germanophonen Schweiz, und wir rufen nun alle Länder der Eurovision zum Grand Prix von Auschwitz herbei! Millionen und Abermillionen sind aufgerufen, sich am nach allen Seiten offenen Wettbewerb zu beteiligen. Make Gedenken, not KZs!
Da tönt der Ruf aus aller Welt: Ja, Sarah, wir wollen mit dir gehen, auch wenn du um gestern weinst! Wenn jedes Schweigen uns verrät, dann tröstet dich ein Wort von uns! Aber sofort! Wir kriegen das Maul gar nicht mehr zu.
Und nun strömen sie herbei von überallher alle, denn auch sie können das Loch in unserer Mitte nicht ertragen, und jeder bastelt ein Modell des Lochs und baut es zu mit großen Steinen und großen Eisenträgern oder auch mit großen Gesten und dann mit großen Betonklötzen, welche werden halten am besten, denn Beton, der brennt ja nicht!, brennt ja nicht, brennt ja nicht, und wer schlecht im Basteln ist, der, ja, der reißt wenigstens das Maul noch ein bißchen weiter noch auf und schüttet aus seinem Redeloch seine Rede noch in das Loch noch mit hinein, und bald ist es komplett zugeschüttet mit großen Betonklötzen, grob gepflasterten Wegen, großen Gesten und großen Worten.
Denn sie wollen mit uns gehen, wenn die Angst bei uns verweilt und die Zeit uns nicht mehr heilt.
Sie wollen mit uns gehen, wenn wir nicht mehr sind wie einst und du um gestern weinst.

Das Eigentliche ist – für jeden etwas anderes. Für Hans Frambach sind es die Verbrechen der Nazizeit, an denen er leidet, seit er denken kann. Darum ist er Archivar im Institut für Vergangenheitsbewirtschaftung geworden; nur fragt er sich, ob es nicht an der Zeit für eine andere Arbeit wäre.

Auch für seine beste Freundin Graziela steht die Fassungslosigkeit über diese Vergangenheit im Mittelpunkt – bis sie einen Mann kennenlernt, der sie begehrt, und fortan die Begegnung der Geschlechter im Fleische für das Eigentliche hält; ein Konzept, an dem sie nun zweifelt.

Aber kann man denn den Nationalsozialismus für alles verantwortlich machen? Eigentlich ist es doch ihre Unfähigkeit zum Glück, die Hans und Graziela zu so wunderlichen Gestalten macht. Nur sie selbst halten ihr Unglück nicht für gott-, sondern für nazigegeben. Zugleich hat auch der Staat, in dem sie leben, sein Eigentliches. Es ist das unausgesetzte Bemühen um Harmlosigkeit seiner Repräsentanten, das allen voran die Bundeskanzlerin vorführt, wenn sie jede Woche übers Internet zu uns spricht.

Iris Hanika zeigt, wie die Verbrechen der Nazizeit uns bis heute in ihren Klauen halten, und übersieht dabei nicht, zu welchen Absurditäten die Professionalisierung des Gedenkens führt. Da wäre nämlich noch ein Eigentliches: unsere Hilflosigkeit angesichts dieser Verbrechen.

Presse

»Es ist in meinen Augen wirklich das Aufregendste, was man in dieser Saison lesen kann – von einem deutschen Autor, einer deutschen Autorin jedenfalls. Ein Roman, der ein Fenster aufstößt. Ein Meisterwerk.« (Denis Scheck, ARD druckfrisch)

»Erinnern ist immer eine widersprüchliche Sache, das macht Iris Hanika mit ihrem Roman auf meisterhafte Weise klar.« (Martin Zingg, NZZ)

»So mutige, witzige, kluge und anrührende Romane wie Das Eigentliche einer ist, gibt’s nicht viele.« (Klaus Nüchtern, Falter)

Das Buch »hält auch der zweiten Lektüre stand, weil es auf nahezu sämtliche Weisen, die der Literatur zu Gebote stehen, den Zwiespalt dessen aufzeigt, was Erinnerung ist.« (Andreas Platthaus, FAZ)

»Manche Lesebegeisterung verführt dazu, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Daher: Dies ist einer der klügsten, witzigsten und zugleich sprachlich virtuosesten Romane, die ich in letzter Zeit gelesen habe!« (Annette Garbrecht, FTD)

»Eine Schriftstellerin, die klug, aufrichtig und ohne jede Sensationsabsicht schreibt.« (Claudia Voigt, KulturSpiegel)

»Eines der wichtigsten Bücher der Gegenwart« (Carsten Hueck, Deutschlandradio)

»Ein klug provozierender Roman. Literatur ist eben auch dazu da, Gewissheiten in Frage zu stellen, mit künstlerisch reflektierten Mitteln. Das genau hat Iris Hanika getan, und darin liegt eine wohltuende Kühnheit.« (Rainer Moritz, Literarische Welt)

»Das Eigentliche zeigt, wie die Verwandlung des Gedenkens in eine Bewirtschaftung dieses Gedenkens irgendwann in Geschäftstüchtigkeit endet – und uns Deutsche von unserer Geschichte abtrennt.« (Sezession)

»Iris Hanika hat ein mutiges Buch geschrieben, eines, das Risiken eingeht. (…) Sie mutet ihren Lesern etwas zu, sie raut mit ihrert Sprache unsere Wahrnehmung auf.« (Elke Biesel, Kölner Stadt-Anzeiger)

»In ihrem Text montiert Hanika in beißender Satire und sich teilweise überschlagender Groteske deutsche Aufarbeitungsrituale. (…) Befreiend.« (Sabine Pamperrien, Jüdische Allgemeine)

»Was hier zwischen den Zeilen aufscheint, ist ein anderer Deutschlandentwurf, aber auch eine Haltung der Melancholie und des Zweifels, aus der Freiheit entstehen kann.« (Annette Hoffmann, Buchhandlung Schwarz)

»Iris Hanika streut mutig Sand ins Getriebe der deutschen Vergangenheitsbewirtschaftung.« (Ulrike Frenkel, Stuttgarter Nachrichten)

»Sie trifft genau den richtigen Ton zwischen der Frage nach der Schuld und der persönlichen Verantwortung im Jetzt.« (Lena Emmerich, HR 2)

»Iris Hanika versteht von den Gründen und Abgründen der deutschen Erinnerungsindustrie viel mehr als mancher Zeithistoriker.« (Konrad Adam, Deutschlandradio)

»Iris Hanikas Beobachtungen zu unserer Zeit sind so ätzend-scharf wie feinsinnig.« (Oliver Seppelfricke, Südwestrundfunk)

»Ein virtuoses Portrait unserer Gegenwart, das uns lehrt, angesichts des großen Leids nicht blind zu werden, sondern uns unser Einfühlungsvermögen zu bewahren.« (Stephan Lesker, Norddeutsche Neueste Nachrichten)

Preis der LiteratTourNord 2011

European Literature Prize 2010

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