Buchcover
Philippe Le Guillou

Das Mittagessen am Ufer der Loire

Zu Besuch bei Julien Gracq
2010
englische Broschur , 11,5 x 17,5
112 Seiten
Aus dem Französischen von Dieter Hornig
ISBN: 9783854207719
€ 15,00

AUTOREN

  • Philippe Le Guillou

BUCH ÜBER

Textauszug

Meine Leidenschaft für ihn hat hier ihren Ursprung. In einem Satz, der Türen öffnet, von deren Existenz man keine Ahnung hatte, eine verheerende Kraft, die auf etwas Bannendem und Priesterlichem beruht, eine Präsenz, die einen Brand auslöst und alles aushöhlt, die Entdeckung einer Kraft, die bohrt und tiefer dringt, ein Durst nach Durst. Lesen lernen setzt dieses Eintauchen in die Gluthitze voraus, diese Initiation in das Auflodern und Verkohlen. Man muß lernen, diesen Mangel zu begehren, diesen Taumel am Ende der Schwelle. Eine Leere ist im Inneren entstanden, eine Leere, die nichts mehr füllen wird, eine Spannung, die sich entfaltet und ständig ansteigt, wie dieser verheerende Durst, der den Körper aufglühen läßt und bis zum Zerreißen bringt, endlos, schonungslos. Nichts wird kommen, und genau das ist die Literatur, wie intensiv man dieses heilige Amt auch erfüllt, wie mächtig der Fürsprecher oder der Wasserträger auch sein mag. Nichts wird kommen, doch diese Verlassenheit kann lustvoll sein, durchwest, gespeist von Bildern, von Konkretionen, die noch brennen, von Schnee, von Seesternen. Von Akeleien und von Opfern. Nichts wird je kommen, und man muß eintreten in diese unheimliche Geduld, diese Spannung, die einem die Illusion vermittelt, man berühre Schwellen, Körper, Ikonen, unerreichbares Geschlechtliches, mit Wörtern verschmolzene Luftspiegelungen, diese Geduld, die ein Durst ohne Boden ist. Dieser Riß kann nur der Taumel der Jugend ziselieren. Man muß zerschmettert worden sein, um zu schreiben. Die Träume von der Durchlässigkeit, von der Androgynie, von der Koinzidenz und der Versöhnung sind Trugbilder. Trugbilder sind der Besuch der Bibliothek, die angebliche Gewandtheit im Ausdruck, die Imitation, die Vorliebe für die Schrift, die Versuchung, Karriere zu machen.

Das Mittagessen am Ufer der Loire enthält zwei Texte, die sich um zwei Besuche des Autors bei Julien Gracq kristallisieren, der eine im Februar 1997, der andere im November 2006. Philippe Le Guillou war seit langem schon ein Verehrer dieses Einzelgängers der Literatur und hatte ihn seit Anfang der 90er Jahre regelmäßig besucht. Sein Bericht über die Fahrt nach Saint-Florent-le-Vieil, den Spaziergang an den Ufern der Loire und der Èvre (das Flüsschen aus Die engen Wasser), die Gespräche mit dem berühmten Autor in seinem alten Haus und beim Mittagessen im Restaurant gehen weit über die Form einer literarischen Reportage hinaus: Die glühende Begeisterung für das dichterische Wort und die lebensverändernde Kraft der Literatur – das sind die Antriebsfedern dieses Textes. Die Erzählung über diesen ganz bestimmten Februartag im Jahr 1998 eröffnet gleichsam den Horizont auf ein außergewöhnliches Dichterleben, einen Dichter, der sich durchaus – und im Alter immer deutlicher – für die kleinen Geschehnisse der Politik interessierte, sich aber immer vom Literaturbetrieb, von der Macht, von den Medien fernhielt. Eine Figur wie aus einer noch ferneren Zeit.

Das Licht über diesen beiden Erzählungen ist nicht nur das eisige Winterlicht über der Loire, es ist auch das Licht des Abschieds, der in absehbarer Zeit zu erwarten ist: Julien Gracq starb im Dezember 2007 im 97. Lebensjahr. Dieses liebevolle Porträt des großen Schriftstellers berichtet von beglückenden, reichen Stunden im Gespräch mit einem, der wie kaum ein anderer die Literatur in ihrer ganz besonderen Ausprägung verkörpert: solitär, unbeirrbar, nobel. Philippe Le Guillou, geboren 1959 in Faou in der Bretagne, schrieb eine Dissertation über die Romane von Julien Gracq, unterrichtete an verschiedenen Gymnasien französische Literatur und ist seit etlichen Jahren Landesschulinspektor. Er hat zahlreiche Romane veröffentlicht, in denen die Landschaften und Legenden der Bretagne eine wichtige Rolle spielen.

Presse

»Eine Hommage von seltener Prägnanz: Wer Gracq nie gelesen hat, wird es nach dieser Lektüre sofort wollen.« (Gregor Dotzauer, Der Tagesspiegel)

»Glücklich, wer Julien Gracq wiederlesen kann. (…) Der deutsche Leser verdankt dieses Glück drei Personen: dem porträtierten Gracq selbst, dem konzentrierten Stilisten Le Guillou und schließlich dem souveränen Übersetzer  Hornig.« (Jochen Schimmang, FAZ)

»Eine kleine Kostbarkeit: Das Mittagessen am Ufer der Loire ist ein schmaler, erhellender und berührender Erinnerungsband.« (Isabella Pohl, Der Standard)

»Der Text lebt von der Begegnung, vom Sprechen und Zuhören, und lässt sich durch Reflexionen und Gedanken weitertragen.« (Peter Urban-Halle, Deutschlandradio Kultur)

»Le Guillous Porträt ruft jenen großen Unzeitgemäßen der französischen Literatur in Erinnerung, den viele als den ›letzten Klassiker‹ bezeichnen.« (Ingeborg Waldinger, Wiener Zeitung)

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