Buchcover
Ronald Pohl

Die Spindelstürmer

Drei Kurzromane
2010
gebunden , 21 x 13 cm
144 Seiten
ISBN: 9783854207689
€ 18,00

AUTOREN

Textauszug

Der GI, welcher die Stiege des Zinshauses mit der federnden Eleganz frisch erworbener Freiersfüße betreten, in der Hand einen Seesack, welcher Dosenmilch, ein Päckchen Erdnüsse sowie ein Paar fein gewirkter Nylonstrümpfe enthielt, hätte das Kabinett der Frau, das im zweiten Stock lag, menschenleer angetroffen – die Türe weiß gepudert wie ein frisch gezuckerter Christstollen; in der Nische am Gang, gleich neben dem Fließwasserhahn, wäre eine Mutter Gottes gestanden; vor ihren Zehen, die unter einer fein gefältelten Tunika hervorschauten, wäre ein Foto gelegen, dessen sich der farbige Soldat sogleich bemächtigte, indem er es in den flackernden Schein des Windlichtes hielt, welches der Statue beigegeben; auf dem Bild wäre ein Spalier von Bäumen zu sehen gewesen, die der Südstaatler, einer unklaren botanischen Ahnung wegen, für Sykomoren hielt – obzwar er das knorrige Gefieder der Luftwurzeln für die trauliche Zugabe einer scheuen, in den Ästen nistenden Vogelart ansah, die einzig mit dem rückwärtigen Teil ihres ansonsten verborgen gehaltenen Erscheinungsbildes vor das Licht der Öffentlichkeit tritt. Dahinter, neben den gesträubten Schwanzfedern einiger Zypressen, welche ein Wesen, größer, als wir Menschen es sind – der Major, am Schreibtisch erst einmal in Schwung geraten, liebte das Ersinnen derartiger Vergleiche –, in den erdbraunen Boden gerammt haben mochte (aber war nicht das ganze Foto im zitternden Schein der Kerze erd- oder sogar rostbraun?), erkannte der GI die ebenmäßig verlaufenden Fugen und milchig verglasten Augen eines gedrungenen Bauwerks, in dessen zweitem Stockwerk, in einem Fenster gleich hinter dem Balkon, man einen kaum punktgroßen Kopf sah, der, über einen Schreibtisch gebeugt, folgende Sätze prüfend aneinanderreihte: Ein mächtiger, schwarzhäutiger Mann stolperte schwer keuchend durch das taunasse, in tintenschwarze Luft gehüllte Unterholz, welches eine säuberlich bestellte Gartenpflanzung von dem nahen, windungsarmen Verlauf einer Landstraße abtrennte; der Schweiß lief ihm über Stirn, Augen und die geblähten Nüstern, welche sich mit jedem Tritt seiner schweren Stiefel mehr und mehr weiteten.

Ronald Pohls Schreibverfahren ist unvergleichlich: Eine Frau, ein Kind, ein Hauseingang, ein Briefkasten – aus diesem Material entspinnt die erzählerische Phantasie die Titelgeschichte seines neuen Buches. Von der Bildbeschreibung ausgehend und von allerlei Mutmaßungen rund um Ort und Personen dieser Ausgangssituation, greift die Erzählung allmählich in die Historie hinaus, die gerne so genannten Gespenster der Vergangenheit übernehmen das Kommando, die Figuren wandeln sich, aus Wien wird Lissabon, aus dem Nationalsozialismus wird Kolonialismus.

Jeder der drei Kurzromane wird – in Pohls düsterem Geschichtsverständnis – zu einer Abfolge von Gemeinheiten, von Täter- und Opferbeziehungen. Dabei erzeugt das Pohl‘sche Verfahren seine ungeheure Dichte nur aus sprachlichem Material, aus einer verschwenderischen Metaphernfülle. Wie in seinem letztem Roman Die algerische Verblendung sind auch in Die Spindelstürmer Pohls ›Helden‹ nicht mehr als »angeschwemmtes Treibgut« (Helmuth Schönauer). Ihr Schöpfer schickt sie auf ebenso geniale wie irrationale Weise durch Raum und Zeit – und über das Papier –, durch eine Welt, deren Markenzeichen ihre Unmenschlichkeit, ja durchaus ihre Widerwärtigkeit ist, gleichzeitig aber auch über die Bretter eines barocken Welttheaters.

Ronald Pohls Texte sind ein literarisches Spektakel; in ihrer manierierten Üppigkeit fordern sie den Leser heraus und insistieren auf seiner nicht nachlassenden Wachheit, belohnen ihn aber durch eine unerhört bilderreiche, sprachlich extravagante, in jedem Moment überschäumende Lektüre. – Dieser »Luftkuscher des Schreibens« (Klaus Kastberger) ist wie wenige in der Lage, die Errungenschaften der Avantgarde spielerisch in den breiten Strom des Geschichtenerzählens hinüberzuführen.

Presse

»Dabei fühlt man sich zweifellos an den jelinekschen Duktus erinnert, weniger kalauernd zwar, aber genauso üppig ins Kraut schießend, mit einer Fülle von Metaphern und Vergleichen aufwartend, (…) höchst artifiziell, komisch.« (Karin Fleischanderl, kolik)

»Hier hält Avantgardeliteratur ihr Versprechen.« (Simon Hadler, Literatur und Kritik)

»Ronald Pohl beweist in seinem jüngsten Buch, dass man einen simplen Briefkasten zum Ausgangspunkt einer aufregenden literarischen Hochschaubahnfahrt machen kann.« (Wolfgang Huber-Lang, APA)

»Drei sprachlich virtuose Kurzromane.« (Friedhelm Rathjen)

»Eine mutige Grenzerkundung des literarisch Sagbaren. Pohl spielt bewusst und souverän mit den äußeren Bezirken sprachlicher Zeichengebung, (…) hochfragile poetische Bilder.« (Antonia Rahofer, Literaturhaus Wien)

»Bildgewaltige Schaumschlägereien und imposante, alphabethische Luftschlösser.« (Alexander Höfer, Skug)

»Der Autor beweist scharfsinnige Beobachtungsgabe genauso wie verspielten Witz.« (Kurier)

»Wer sich auf das Experiment einlässt, wird reich belohnt.« (ORF.at)

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