Buchcover
Lydia Davis

Fast keine Erinnerung

Stories
2008
gebunden , 13 x 21 cm
184 Seiten
Aus dem Amerikanischen von Klaus Hoffer
ISBN: 9783854207351
€ 19,00
als ebook erhältlich

AUTOREN

Textauszug

Vor ein paar Jahren redete ich mir ein, ich wolle einen Cowboy heiraten. Warum auch nicht. Ich lebte allein, war ganz begeistert von der braunen Landschaft, und ab und zu, wenn ich die breiten Highways der Westküste entlangfuhr, hatte ich im Rückspiegel einen Cowboy in einem Pick-Up. Tatsache ist: Ich weiß, ich würde immer noch gerne einen Cowboy heiraten, obwohl ich jetzt im Osten lebe und schon mit jemandem verheiratet bin, der kein Cowboy ist.

Aber was sollte ein Cowboy schon mit einer Frau wie mir anfangen – einer Englischprofessorin und Tochter eines En­g­lischprofessors und nicht eben locker und ungezwungen? Nach ein, zwei Drinks bin ich lockerer, aber ich spreche immer noch korrekt, und ich weiß immer noch nicht, wie man mit anderen Leuten scherzt, es sei denn, ich kenne sie gut, und oft sind es Leute von der Universität oder sie leben mit solchen zusammen, und wenn die etwas sagen, ist es auch bei ihnen immer noch korrekt. Obwohl ich nichts gegen sie einzuwenden habe, ich fühle mich von den anderen Menschen in diesem Land abgeschnit­ten – um nur einmal von diesem Land zu reden.

Ich redete mir ein, dass mir die Art gefiel, wie Cowboys sich kleiden, angefangen vom Hut, und wie wohl sie sich in ihren Kleidern fühlen, so zweckmäßig, weil sie mit ihrer Arbeit zu tun haben. Viele Professoren ziehen offensichtlich das an, was sie für Professoren kleidsam halten, ohne wirkliches Interesse und ohne Liebe. Ihre Kleider sind entweder zu eng oder schon ein paar Jahre aus der Mode und bewirken nur, dass ihre Körper noch linkischer wirken.

Nachdem man mir erstmals eine Lehrstelle angeboten hatte, kaufte ich eine Aktentasche, und nachdem ich mit meiner Lehrtätigkeit begonnen hatte, trug ich sie durch die Gänge wie die anderen Professoren. Ich konnte sehen, dass sich die älteren Professoren – hauptsächlich Männer, aber auch ein paar Frauen – der Wichtigkeit ihrer Aktentaschen nicht mehr bewusst waren und dass die jüngeren Frauen so taten, als wären sie sich ihrer nicht bewusst, wogegen die jüngeren Männer ihre Aktentaschen wie Trophäen herumtrugen.

Ob konventionellere und klassische Sujets – eine Reise durch Russland in den Kaukasus, ein karger Winter in äußerster Mittellosigkeit in einem südfranzösischen Bauernhaus, Träume vom idealen Cowboy-Mann, ein Nachmittag, umringt von Familien im Park – oder Gedankenspiele am Rand zum Sprachspiel, Davis untersucht ihre Geschichten und Themen sowohl in erzählerischer als auch in essayistischer Form, Erzählen und Denken sind zwei Seiten derselben Bewegung. Beim Lesen wähnt man sich dadurch in den sicheren Händen einer skrupulösen Schriftstellerin, die ihr Feld mit größter Sorgfalt beackert. Ihr Feld: das sind die Abenteuer des Alltags und der Gewöhnlichkeit, Träume, Vermutungen und Fantasien, Beziehungs- und Benennungsschwierigkeiten, allesamt unter so merkwürdigem Blickwinkel neu betrachtet, dass das Lesevergnügen von Geschichte zu Geschichte noch größer wird.

Die sparsame, elliptische Form von Lydia Davis’ Kurzgeschichten ist frei von den Zwängen von Handlung und action, frei allerdings auch von den europäischen Ansprüchen an trockenes experimentelles Schreiben, und gibt sich ganz einer mikroskopischen Untersuchung von Denken, Sprechen und Erzählen hin.

Mit Lydia Davis, bewundert u. a. von Grace Paley, Jonathan Franzen, Jeffrey Eugenides und Zadie Smith, ist eine der raffiniertesten Stimmen der amerikanischen Prosa mit diesem Band zum ersten Mal auf Deutsch zu entdecken.

Presse

»Diese Geschichten sind klug bis an die Grenze zur Weisheit; präzise beobachtet und dann in mikroskopischer Analyse bearbeitet bis an die Grenze zum Sprachspiel.« (Verena Lueken, FAZ)

»Oft wirklich nur ein paar Wörter kurz, doch prall voll Leben, verspielt, subversiv, witzig und ergreifend, sind die Geschichten der 60jährigen nun endlich auch auf Deutsch zu lesen.« (Franziska Hirsbrunner, 52 Beste Bücher)

»Die Sammlung glänzt vor bissigem Witz und kluger Verknappung.« (Profil)

»Wenn Davis mit ein paar Strichen ihre eigene Welt aufreißt, dann zeigt sich das enorme Suggestionspotential ihrer klaren, konzisen Prosa. Die Frau kann einiges, und vor allem hat sie Stil.« (Frank Schäfer, Rolling Stone)

»Humor spielt in vielen ihrer Geschichten eine Rolle, trocken ist er, durchdrungen von einem scharfen, klarsichtigen Blick auf das menschliche Zusammenleben.« (Elke Biesel, Kölner Stadt-Anzeiger)

»Ein ungewöhnliches Lesevergnügen, das den Blick auf die Welt verdreht.« (Tiroler Tageszeitung)

»Messerscharfe Prosa.« (Angela Schader, NZZ)

»Die Storys verdichten sich zu mathematischer Poesie, und das Phänomenale an diesen Texten ist, dass sie (…) ganze Romane verbergen.« (Alexandra Kedves, Tages-Anzeiger)

»Diese Autorin ist eine Entdeckung!« (Martin Zingg, Der Bund)

»Sprachwitz statt Langeweile. Davis mausert sich zum stillen Star für Anglistik-Studierende und Freunde neuer, schräger Literatur.« (Göttinger Tageblatt)

»Das ist einfach gut.« (Ulrich Baron, Süddeutsche Zeitung)

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