Buchcover
Henri Michaux

Passagen

1999
engl. Broschur , 15 x 21 cm
166 Seiten
Aus dem Französischen von Elisabeth Walther und Dieter Hornig.
ISBN: 9783854205173
€ 23,00

AUTOREN

Textauszug

Ein Schriftsteller braucht anscheinend nicht mehr als ein beherrschendes Gefühl. Liebe oder Neid oder Angst, mit engen und zahlreichen Ligaturen zu einem guten Grundkomplex zusammengespannt, damit findet er sein Auskommen. Aber eines braucht er. Auf dieser Welle moduliert er die übrigen und sein ganzes Universum. Das ist das tragende Gefühl.
Die Erfahrung hat tausendmal gezeigt, daß bei einem Neidhammel die Liebe, falls er die Liebe ausdrücken will, nur durch den Neid »moduliert« heraus kann. Und bei einer liebenden Natur erhält der Haß nur auf der Welle der Liebe Stärke und Leben. Sie allein trägt und ist imstande, ihn zu »tragen« und ihn selbst wieder tragen zu lassen. Andernfalls wäre sie ein Notenschlüssel ohne Bedeutung.
Ein Schriftsteller ist ein Mensch, der den Kontakt zu wahren versteht, der in Verbindung bleibt mit seiner Verstörung, mit seiner niemals besänftigten triebhaften Region.

(aus dem Kapitel ›Observations‹)

»Man muß beachten, daß sich dieses experimentelle Denken nicht in schwankenden Schlußketten ausdrückt, vielleicht besteht es noch nicht einmal in seinen Versuchen mit der Wahrheit, es vollzieht sich offensichtlich als eine Differenzierung der Wahrnehmungen, die nicht den Gesetzen der Optik, sondern dem Maßwerk der Einbildungskraft gehorchen. Es ist nicht die klassische Form experimentellen Denkens, die dabei entsteht, der Essay; was sich bildet, sind vielmehr Kurzformen, die Gedanken, Sachverhalte, Themen nicht – sagen wir wie bei Montaigne oder bei Bacon – hin und her wenden, sondern zerstückeln, vergrößern oder verkleinern, die also wie Raster und Linsen wirken, indessen dem klassischen Essay das Kaleidoskop entspricht.«

(Max Bense in seinem Vorwort zur ersten deutschen Ausgabe 1956)

Passagen, Texte aus den Jahren 1937–50, erstmals 1950 und danach, stark erweitert, 1963 in Paris erschienen, ist eine Sammlung von Texten über Malerei, Musik, über künstlerische Produktion – scharfe, bissige Gedankenbilder, die Michaux’ Poetik im Kern enthalten.

Nach den Reisen durch die reale Geografie, nach den pseudoethnologischen Reisen durch imaginäre Länder und zeitgleich mit den in den Kriegsjahren entstandenen Exorzismen und den großen poetischen Texten entwickelt Michaux eine Poetik, die ihren Ausdruck im Band Passagen erhält.

Der Titel ist wörtlich zu nehmen: Immer geht es um Passagen, um Übergänge, vom Realen ins Irreale, von der Wahrnehmung zum Imaginären, von Affekten zu Erkenntnis. Michaux lieferte mit seinem seismografischen Schreiben eine Poetik des Fragments und der Diskontinuität, ohne vorschneller Literarisierung (»Stil«, »Eleganz«, »Rhetorik«) zu verfallen.

Presse

»Welche Hellsicht! Welche Klarheit!« (Hans Joachim Hespos)

»Im Denken ist Michaux ganz eins mit sich selber. Er erkundet Denkgebiete der Freiheit und entwickelt Eigenart und Witz, dass einem Hören und Sehen vergeht.« (Salzburger Nachrichten)

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